Montag, 4. Juli 2016

Auffälligkeiten in der ortsrandnahen Entomofauna Weilmünsters im Sommer 2016

Dipl Biol. Peter Ulrich Zanger, CID Institut Weilmünster, 13. August 2016

"Kein Jahr ist wie das Andere." Das gilt auch für die Insektenwelt. Gerade die Tiergruppe mit dem größten Arten- und Individuenreichtum tendiert je nach Umweltsituation zu spontanen Übervermehrungen einzelner Arten oder Artengruppen, so wie dies aus fast vergangenen Zeiten von den Schadinsekten bekannt war, die urplötzlich in Massen auftraten und in landwirtschaftlichen Kulturen bisweilen sichtbaren Schaden anrichteten, beispielsweise durch Blattfrass von Schmetterlingsraupen und Kartoffelkäfern und dann von den Landwirten, die Einbussen des Ernteertrages befürchteten, mit Pestiziden bekämpft wurden.

Heute weiss man, daß viele Kulturpflanzen einen gewissen Grad von Blattfrass tolerieren, ohne daß es deswegen zu Minderungen des Fruchtertrages der Pflanze kommt. Desweiteren ist bekannt, daß sich einzelne Schadinsektenarten besonders in großflächigen Monokulturen vermehren, weil dort ein künstliches Überangebot von einer einzigen Nahrungspflanze erzeugt wird und gleichzeitig die natürlichen Gegenspieler der Schadinsekten, auch Antagonisten und Nützlinge genannt, durch Pestizideinsatz und Fruchtmonotonie verdrängt und ausgeschaltet werden, so daß es danach erst zu sichtbaren Übervermehrungen von dann anschliessend "Schädlingen" genannten Insekten kommen kann. Die Folge war ein Umdenken in der Landwirtschaft in den Jahrzehnten 1970-1990, die Entwicklung natürlicher, Nützlingsschonender Pflanzenschutzmittel, der Verzicht auf hochgiftige Breitbandpestizide, die Diversifizierung der Anbaumethoden und gezielte Förderprogramme für Nutzinsekten im Rahmen der Naturschutzarbeit. Dies hat zu einem Wiedererstarken der gesunden, natürlichen Entomofauna und zur Rückkehr fast ausgerotteter, seltenerer Insektenarten geführt, die heute wieder stabile Bestände bilden und sich ausbreiten.

Bei manchen Insektenarten ist es nicht ungewöhnlich, daß diese in bestimmten Jahren starke Populationen bilden und dann wieder für mehrere Jahre fast vollständig verschwinden, bzw. unsichtbar bleiben. Dies hängt insbesondere mit dem Entwicklungszyklus der Tiere zusammen und ist am Beispiel des Maikäfers, der nur alle 5-7 Jahre in größerer Individuenzahl erscheint, popular bekannt.

Seit Mai, dem Monat in welchem normalerweise viele Insektenarten in der Natur sichtbar werden und insbesondere beim Besuch von Blüten zur Nahrungsaufnahme beobachtet werden können, ist im Jahr 2016 auf den von CID Institut seit Jahren für entomologische Feldstudien und Insekten-Makrofotografie regelmäßig besuchten Grünlandflächen am Nordwestrande Weilmüsnters ein weitgehendes Fehlen fast aller in den Vorjahren beobachteten Insektenarten festzustellen. Besonders Flächen, die bisher durch Ihren Reichtum an Tagfaltern, Wildbienen und Wespenarten bekannt waren und zu den bevorzugten Fotografierstandorten zählten, sind in diesem Jahr fast vollständig "Insektenfrei". Kein einziger Lycaenidae (Bläulinge) und nur wenige Tagfalterarten wurden registriert, wobei nur die "Generalisten" Kleiner Kohlweissling, Großers Ochsenauge und Wiesenvögelchen zwischen Anfang Mai und Mitte August beobachtet wurden. Wildbienen sind vollständig abwesend, ebenso die in grosser Zahl bisher anwesenden Wespenarten mit Ausnahme der Gallischen Feldwespe, ebenso einem Generalisten der Wespenwelt.

Woran liegt es, daß Schafgarbe und alle anderen weissen Doldenblüten in diesem Jahr fast vollständig ohne Insektenbesuch wachsen ? Möglicherweise spielen die starken Dauer-Niederschläge seit Jahresbeginn eine Rolle, die den diesjährigen Entwicklungszyklus der Insekten beeinflusst haben könnten. Weniger wahrscheinlich ist der Einfluss moderner Insektizide aus der Klasse der Neonicotinoide, die insbesondere für Honig-Bienen hochgiftig sein könnten. Doch wird auf den Untersuchungsflächen kein Pestizideinsatz beobachtet.

Nun braucht sich die Landwirtschaft allerdings noch keine Sorgen zu machen, daß das plötzliche Fehlen der Insekten die Fruchterträge reduzieren könnte. Die Natur pendelt plötzliche Ungleichgewichte Normalwerweise in kürzester zeit wieder auf Normalzustände ein. Doch ist Vorsicht geboten und ein andauerndes biologisches Monitoring der Entomofauna ratsam, damit sich eventuelle Fehlentwicklungen nicht etablieren.

Ganz und vollständig fehlen die Insekten tatsächlich denn auch nicht. Manchmal bedarf es nur des viel näher Herangehens und viel genauer Hinsehens, um sie zu entdecken. So fallen auf den vollständig leer erscheinenden Schafgarbe-Blüten bei nähestem Fokussieren denn winzige, mikroskopisch kleine, schwarz-metallisch glänzende, geflügelte Tierchen auf, die zuerst keiner bekannten Insektenordnung zugeordnet werden können. Die Insekten ähneln winzigen Gallwespchen doch weisen sie nur 1 Flügelpaar auf und das ist das Erkennungsmerkmal der Dipteren (Fliegen). Sucht man in den entomologischen Nachschlagewerken dann nach besonders winzigen, schwarzglänzenden Fliegen mit transparenten, von wenigen Adern durchzogenen Flügeln, die beide einen auffälligen, schwarzen Punkt an der Vorderkante tragen, dann findet man manchmal - denn nicht allen Sammlungen ist diese Familie bekannt - die Schwingfliegen (SEPSIDAE). Diese erhielten ihren Namen wegen des arttypischen, rhythmischen Auf- und Ab-Schwingens ihrer Flügel wenn sie in nervöser Ruhe auf einem Rastplatz verweilen. Vermutlich ist das Flügelschwingen ein Teil des Balzverhaltens dieser Insekten, die in Körperbau und Färbung etwas an Ameisen erinnern, was ihnen den Ruf eintrug, "Ameisen-Mimikry" zu praktizieren. Nun sind sie zwar bisweilen neben einzelnen Ameisen auf den Doldenblüten anzutreffen, doch müßte noch erforscht werden, worin der Vorteil für das Tarnungs-Nachahmen von Ameisen für die Schwingfliegen besteht.

Bemerkenswert ist, daß die Schwingfliegen Mitte August am Weilmünsterer Ortsrand in ausgesprochen grosser Zahl fast schwarmartig auf Dolden-Blüten zusammentreffen, so, als wollten sie durch diese "Machtdemonstration" das Fehlen der anderen Insekten ausgleichen.






Schwingfliege (DIPTERA : SEPSIDAE).
In Europa existieren 9 Gattungen dieser Familie (Archisepsis, Meroplius, Nemopoda, Ortalischema, Orygma, Saltella, Sepsis, Themira, Zuskamira), weltweit sind es etwa 20 Gattungen mit 318 Arten. Die abgebildete Art ähnelt der Gattung Nemopoda
Weilmünster, 13. August 2016




Schwingfliege (DIPTERA : SEPSIDAE) , cf Nemopoda sp.
Weilmünster, 13. August 2016






Schwingfliege (DIPTERA : SEPSIDAE) , cf Nemopoda sp.

Weilmünster, 13. August 2016





Schwingfliege (DIPTERA : SEPSIDAE) , cf Nemopoda sp.

Weilmünster, 13. August 2016

  








Schwingfliege (DIPTERA : SEPSIDAE) , cf Nemopoda sp.

Weilmünster, 13. August 2016












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